Produziert für: ramp.space Jahr: 2022.
Kategorie: Motorsport / Automobilfotografie / Fotoreportage / Blog.
Rosarote Spiegelung in der Mercedes-Lounge hin, rosarote BWT-Lackierung des AMG GT3 her: die »Grüne Hölle« bleibt die »Grüne Hölle«. Meine Gedanken, als ich die Fuji X-T4 zwischen Nacht-Buffet und Glasscheibe über meinen Kopf recke. Die Mechaniker unten in der Boxengasse wuseln geschäftig, aber ruhig um den AMG GT3.
Mein Schuss? Sitzt.
Und ich stehe hier. Endlich. Lange habe ich dem 24-Stunden-Rennen hier entgegengesehen - und seinen Wetterkapriolen, der Action, seinen wunderbar verrückten Fans, den geniale Sonnenuntergängen und der Nordschleife. Ganz ähnlich geht es auch 250.000 anderen Menschen, in anderen Worten: Einer Viertelmillion. Denn nach zwei Corona-Jahren sind wieder Zuschauer erlaubt. Auch zur Freude aller wichtigen GT-Größen und Hersteller, die sich wieder die Klinke in die Hand geben. Heute Mittag habe ich noch René Rast gesehen, seines Zeichens dreifacher DTM-Champion mit Audi. Das war kurz vor dem Start. Jetzt sind schon fast neun Stunden Rennen vorbei – oder sollte man sagen: Drama?
Aber jetzt erst einmal von Anfang an. ​​​​​​​
Es ist Freitag, der 23. Mai 2022 und wir sind auf Einladung von Mercedes-AMG hier. Ich habe seit meiner Ankunft gestern nicht nur eine kalte Eifelnacht überstanden, sondern inzwischen auch das Vor-Ort-Team des Stuttgarter Herstellers kennengelernt. Zusammen mit einem Shuttle-Fahrer und einem Betreuer sind wir zum Top-Qualifying draußen am kleinen Karussell und der Döttinger Höhe, ganz in der Nähe des GP-Kurses. Bier, aber auch andere Spirituosen liegen in der Luft und mischen sich einzigartig mit goldenem Abendlicht. Naja, und auch dem Johlen, wenn eines der donnernden Rennautos in Blickweite der etwas glasigen Augenpaare am Zaun kommt. Die Uhr schlägt 20 Uhr und das permanente Wummern rund um die Strecke ebbt ab. Ungewohnt diese Stille, auch schon nach einem Tag am Ring. 
In der Folge geht es noch zum Brünnchen, dem Party-Epizentrum – wo erwachsene Menschen Rennen auf Bobby-Cars fahren. Ja, nach der Quali und mitten auf der eigentliche Rennstrecke. Wieso zwischen Fußgängern, und Fahrzeugen und allem anderen auf der Strecke nichts passiert? Es muss daran liegen, dass die Menschen betrunken sind, sage ich mir. Nüchtern würde das nämlich im Handumdrehen schiefgehen. Auch das ist der Nürburgring. Und es ist gut so. Kein bisschen hat sich offensichtlich verändert zu den Schilderungen aus der Vor-Corona-Zeit. Ohne die unglaublichen Fans wäre es nur ein Rennen. Und nicht eine der legendärsten Langstreckenprüfungen des Motorsports, bei der auch gerne mal Grillgeruch ins Rennfahrzeug weht.
Ohnehin erwachen die Nordschleife, das 24-Stunden-Rennen und die Stimmung selbst erst richtig, wenn die Sonne wie gerade untergegangen ist. Dann steigt die Stimmung und die schnellsten und erfahrenen Piloten in den Autos Platz – zumindest, wenn es im Rennen dann nicht wie in der dieses Jahr läuft. Nach sieben Stunden, also Stand Samstagabend um 23 Uhr haben wir nämlich schon zahlreiche Favoriten verloren. Der zwischenzeitlich führende Aston Martin mit Nicki Thiim? Auf einer Ölspur ausgerutscht und gecrasht. Grello, der legendäre Elfer von Manthey Racing? Nach einem Bruder-Duell von Laurens Vanthoor und Dries Vanthoor im Audi R8 von Phoenix Racing ebenfalls gecrasht. Und obendrein noch irreparabel und ein Chassis zum Abschreiben. Der Pole-Ferrari von Octane 126 erweist sich übrigens auch schnell als gelb-goldenes Kanonenfutter, während andere Top-Autos miteinander oder ineinander crashen.
Puh. Rundherum Kopfschütteln, auch bei  den  Journalistenkollegen und den Gastgebern von AMG. Gefühlt ist das gerade kein 24-Stunden-Sprint mehr, sondern ein Crash-Derby. Brilliant analysiert hat das übrigens mein früherer Motorsport-Total-Kollege Heiko Stritzke.
Aber zurück an die Nordschleife und zurück in die Nacht. Ich habe mich vom Shuttle wieder am Brünnchen aussetzen lassen und wandere entlang der Strecke zum Karussell. Nordschleife bei Nacht, der Selbstversuch. Am Wippermann wirft die Sonne ihre letzten Strahlen durch die Bäume – und ich wandere weiter. Wie eine Naturgewalt nähern sich die AMG GT3 und donnern an mir vorbei, gegen sie wirken die anderen Rennwagen brav und leise. Selbst die sonst so lauten Porsche Cup-Fahrzeuge und erst recht die »kleinen« TCR Boliden. Ich lasse mich treiben, beobachte die Autos, aber auch die Menschen. Hier ist alles vertreten. Von Quasi-Werksmannschaften wie im Falle der AMG-Teams bis zu Hobbyracern in Kleinwagen, von Tagesbesuchern am Streckenrand bis zu Hardcore-Campern und Superfans. Feuerfässer mit Streckenumriss? Gesetzt. Genauso wie die stolz zur Schau getragenen, geleerten Spirituosenflaschen des bisherigen Wochenendes.
Irgendwann schaffe ich es vom Karussell zurück zum Brünnchen von dort in die Hospitality. Die Beine schmerzen und ich esse die fünfte volle Mahlzeit für heute.
Oder morgen?
Es muss gerade genau diese besondere Zeit bei einem Langstreckenrennen sein, zeitliches Niemandsland zwischen den Kalendertagen. Ich schlendere noch durch die Boxengasse – und falle todmüde ins Bett meines Campers. Es ist drei Uhr, als ich das letzte Mal auf mein Telefon schaue. Der verbleibende Sonntag? Zieht vorbei wie eine Erinnerung, die aber gleichzeitig gerade erst gemacht wird.
Das Missverständnis mit dem Shuttle, das mir keinen Sonnenaufgang, sondern drei Kilometer Marsch entlang der Döttinger Höhe, alles vor Sechs Uhr morgens beschert? Nur ein Mosaik neben dem Graupelschauer und perfektem Licht im Hatzenbach. Und dem Ausritt des Audi und der Staubwolke, genauso wie der Blick in das Cockpit des AMG GT3 des Haupt Racing Teams.
Dass der Phoenix-Audi da gewinnt, vergesse ich beinahe, genauso wie die perfekte Choreographie in der Mercedes-Box vom Team GetSpeed Performance, das die Plätze zwei und drei belegt. Das war irgendwann vor dem Sonnenuntergang am Samstag. Dann kam besagter Sonntag. 
Jetzt ist Montagmorgen und ich habe einen ausgewachsenen Hangover: Ich vermisse gleichzeitig das unterschwellige Wummern des Rings, aber will auch eigentlich durch nichts und niemanden gestört werden. Ein klassisches »Paradoxon« nennt man das in der Bildungssprache. Zwischen die monumental große Müdigkeit drängt sich dann aber keine intelligente Ausdrucksweise mehr, sondern eher die Erkenntnis, dass ein 24-Stunden-Rennen harte Arbeit ist. Egal ob als Fahrer, Mechaniker oder Marshall am Streckenrand. Naja, und eben auch als Fotograf. Ich setze die rosarote Brille ab, reibe mir die Augen und richte mich aus dem Bett auf. Und sage leise zu mir, als ich meine Korrekturbrille aufziehe:
»Das war einfach geil. Das will ich wieder.«
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